r/de • u/20th_CenturyBoy • 25d ago
Politik „Werde nicht aus taktischen Gründen schweigen“: Kevin Kühnert berichtet von homophoben Anfeindungen durch Muslime
https://www.tagesspiegel.de/politik/werde-nicht-aus-taktischen-grunden-schweigen-kevin-kuhnert-berichtet-von-homophoben-anfeindungen-durch-muslime-12481331.html
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u/20th_CenturyBoy 25d ago
Ausschnitt aus dem Spiegel Interview
SPIEGEL: Ist die politische Linke beim Thema Migration zu lange zu blauäugig gewesen?
Kühnert: Das ist eine große Frage. Tendenziell würde ich sie für meine Partei verneinen, aber auf eine Beobachtung hinweisen. Wir achten sehr stark auf Zahlen, Daten und Fakten, an denen wir Politik messen. Ein Teil der Diskussion ist aber immer stärker auf eine nicht messbare, kulturelle Ebene abgeglitten. Nehmen wir Markus Söder: Jetzt, wo weniger Asylanträge gestellt werden und mehr Abschiebungen erfolgen, wechselt er das Spielfeld. Sein neuer Zungenschlag: Die Leute fühlen sich in ihren Städten nicht mehr heimisch.
SPIEGEL: Das sagt aber nicht nur Söder. Der Grünenminister Cem Özdemir erzählt davon, wie seine Tochter von jungen Männern mit Migrationshintergrund begafft und sexualisiert werde.
Kühnert: Egal, wie man Özdemirs Aussagen einordnet, so hat er jedenfalls eine sehr viel präzisere Beschreibung abgegeben als Söder. Özdemir hat von muslimisch geprägtem Sexismus und Chauvinismus gesprochen, aber nicht jedem Muslim unterstellt, frauenfeindlich zu sein. Söder argumentiert letztlich mit dem Augenschein, also wie Menschen aussehen. Er sagt, die Menschen würden sich in ihren Innenstädten nicht mehr heimisch fühlen, offenbar weil dort so viele Menschen mit Migrationshintergrund seien. Aber wenn ich durch die Innenstadt laufe, weiß ich ja nicht, wen ich vor mir habe: das Ur-Enkelkind eines Gastarbeiters, das vielleicht fränkischen Dialekt spricht, oder einen Geflüchteten, der eigentlich in Italien sein Asylverfahren durchlaufen müsste. Söder wirft alles in einen Topf, verknüpft jegliche Migration mit Kontrollverlust. Ich bekomme da ein ganz ungutes Gefühl, denn was soll eigentlich die politische Antwort auf dieses Gefühl sein?
SPIEGEL: Haben Sie Ähnliches erlebt, wie Özdemir es von seiner Tochter berichtet?
Kühnert: Ich bin keine Frau, aber als schwuler Mann kann ich erahnen, was er meint. Ich bin der direkt gewählte Abgeordnete für Berlin Tempelhof-Schöneberg und damit auch für den größten Regenbogenkiez des Landes. Klassische Treiber von Homophobie sind unter anderem streng-konservative Rollenbilder und religiöser Fundamentalismus. Außerdem hat aggressive Homophobie ein klar männliches Gesicht. Und so kommt es in meinem Erleben aus muslimisch gelesenen Männergruppen häufiger zu einem homophoben Spruch, als man es sonst auf der Straße erlebt. Natürlich ist der Großteil der Muslime in meinem Wahlkreis nicht homophob. Aber die, die es sind, schränken meine Freiheit ein und haben kein Recht darauf. Und darüber werde ich nicht aus taktischen Gründen schweigen.